Unser Gemeinsames Erbe: die Rolle des Ökozid-Gesetzes

Am 11. Februar 2024 veröffentlichte eco-connect.com einen Beitrag von Anna Maddrick, den ich außerordentlich überzeugend und erhellend empfand.

'Anna Maddrick, 'Our Common Heritage: The Role of Ecocide Law', Eco-nnect (online) (2024), available at: https://eco-nnect.com/our-common-heritage-the-role-of-ecocide-law/

Der Text ließ mich nicht los, ich erlebte etliche aha-Effekte und war begeistert, wie Anna die Umweltressourcen im Sinne des „gemeinsamen Erbes der Menschheit“ in den Kontext mit unserer Verantwortung für den Schutz und die vernünftige Bearbeitung des Erbes der wildlebenden Tiere und Pflanzen und ihre Lebensräume stellte, und diese Verantwortung auf Basis des traditionellen Wissen indigener Völker, der Allmende (Commons) und u.a. auch dem Völkerrecht erklärte.

Sie zeigt auf, wie globale und lokale Perspektiven in einen Rechtsrahmen für den Umweltschutz integriert werden können, der weder übermäßig strafend wirkt noch die wichtige Etablierung eines Ökozentrismus in internationale und nationale Gesellschaften vernachlässigt, und wie das Ökozid-Gesetz eine neue Ära der Umweltpolitik begründen würde, um planetare Grenzen, Frieden und Sicherheit für Mensch und Natur, auf der Erde und im Weltraum, zu schützen.

Anna Maddrick ist Klimaberaterin bei der Ständigen Vertretung der Republik Vanuatu bei den Vereinten Nationen in New York und Doktorandin an der Universität Bologna mit Schwerpunkt auf dem Recht des Ökozids.

Ich übersetzte ihren Text ins Deutsche: „Unser Gemeinsames Erbe und die Rolle des Ökozid-Gesetzes“ 

Um die wesentlichen Aussagen zusammenzufassen und so etwas zugänglicher zu machen, entstand daraus ein Thesenpapier mit Angabe der Fundstelle (Seite, Absatz) in der deutschen Übersetzung.

“Unser Gemeinsames Erbe und die Rolle des Ökozid-Gesetzes”


Menschheit und Natur sind heute untrennbar voneinander abhängig. (1,2)

Es existieren heute keine rechtlichen Regelungen, die schweren Verstößen gegen die Natur Rechnung tragen. (1,3)

Die Regelung von Umweltfragen erfordert wegen der Komplexität unseres Klimasystems einen interdisziplinären, raum-, zeit- und generationenübergreifenden Ansatz. (1,4)

Die systemischen Wurzeln schwerwiegender Umweltschädigung liegen in globalen Mustern von Produktion, Konsum, Finanzwesen und gesellschaftlichem Leben. (2,1)

Die Umwelt wird seit mehr als 100 Jahren als Instrument des Profits betrachtet. (2,2)

Die Logik des unbegrenzten Wachstums führt zum Ökozid. Ein Paradigmenwechsel ist notwendig, der der Interessengemeinschaft von Menschen mit Nicht-Menschen Rechnung trägt. (2,3)

Wir müssen unser Blickfeld erweitern, um die Rolle des Strafrechts bei der Koordination grundlegender sozialer Werte zu verstehen. Ein Straftatbestand des Ökozids als präventiver und allumfassender Rahmen kann ein bestehendes Tabu der internationalen Umweltgesetzgebung korrigieren. (2,4)

Die bestehende Definition internationaler Umweltschäden wird als zu technisch, verstreut und schwer durchsetzbar angesehen und wird nicht der Realität der Natur und den ihr zugefügten Schäden gerecht, welche in Wechselwirkung zueinander stehen und in verschiedenen Dimensionen auftreten. (3,2)

Umwelt muss auf der Grundlage der Erdsystemforschung und den fünf Hauptsphären der Erde -Biosphäre, Kryosphäre, Litosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre -sowie des Weltraums- definiert werden. (3,3)

Die Beziehung der Gesellschaft zur Natur im extraktivistischen Kapitalismus spiegelt weitgehend "Individualismus und Individualisierung wider, welche zur Inbesitznahme, Monopolisierung, Kommerzialisierung und Finanzialisierung der Natur vor dem Hintergrund knapper natürlicher und lebender Ressourcen und der Rückbildung oder Störung von Ökosystemen führt17“. (4,1)

Eine Konzeption der Umweltressourcen als "gemeinsames Erbe der Menschheit" impliziert, dass diese Ressourcen der gesamten Menschheit in kollektiver Form gehören und für die Nutzung und den Nutzen aller zur Verfügung stehen, wobei auch künftige Generationen und die Bedürfnisse der Entwicklungsländer berücksichtigt werden. (4,2)

Von entscheidender Bedeutung aus der Sicht indigener Völker und lokaler Gemeinschaften auf der ganzen Welt ist die Gewichtung von Ressourcen und Beziehungen zu Dingen, die als Gemeinschaftseigentum gelten. (4.4) 

Die rechtliche Konstruktion natürlicher Gemeingüter schlägt ein kameradschaftliches Bündnis zwischen Arten und Natur vor. (4.4)

Der Grundsatz des gemeinsamen Erbes umfasst (…) unsere "besondere Verantwortung für den Schutz und die vernünftige Bewirtschaftung des Erbes der wildlebenden Tiere und Pflanzen und ihrer Lebensräume, die heute durch eine Kombination negativer Faktoren ernsthaft gefährdet sind"21 (4.4)

Das geltende Völkerrecht in Verbindung mit dem Ökozid-Gesetz unterstützt diese Möglichkeit. Im geltenden Völkerrecht bezieht sich das "gemeinsame Erbe der Menschheit" 32 (Common Heritage of Mankind) im Allgemeinen auf die hohe See, den Weltraum und die Himmelskörper, die alle nicht der Souveränität eines Staates unterliegen dürfen, und die Staaten sind zumindest theoretisch verpflichtet, Handlungen zu unterlassen, die ihre Nutzung durch andere Staaten beeinträchtigen. (5,3)

Da die Menschheit ein eigenständiges Rechtssubjekt ist, das alle Menschen auf der Welt repräsentiert, sollte das CHM als Eigentum der Menschheit den Anforderungen der Menschheit entsprechen 35. (5,3)

"Beim Grundsatz des gemeinsamen Erbes der Menschheit geht es nicht nur um die Aufteilung der Vorteile. Es geht ebenso sehr um Schutz und Erhaltung. Bei diesem Prinzip geht es um Solidarität; Solidarität bei der Bewahrung und Erhaltung eines Gutes, das wir alle teilen und daher schützen sollten. Es geht aber auch um Solidarität, um sicherzustellen, dass dieses Gut, das wir alle teilen, uns allen zu Gute kommt.“ 38 (6.1)

Die entscheidende Frage ist die Integration globaler und lokaler Perspektiven in einen Rechtsrahmen für den Umweltschutz, der weder übermäßig strafend wirkt - und damit andere wichtige Rechte wie das Recht auf Entwicklung behindert - noch die wichtige Etablierung eines Ökozentrismus in internationalen und nationalen Gesellschaften vernachlässigt. (6.2)

Der wachsenden Bewegung für die internationale Kriminalisierung von Ökozid liegt der Schutz der Erde und der Biosphäre als Allgemeingut der Menschheit 40 zugrunde, der notwendige Eingriffe erfordert, um die Gefahren für heutige und zukünftige Generationen zu stoppen und abzuwenden. (6.3)

Neben einer größeren Gewissheit für die Durchsetzbarkeit der Umwelt- und damit den Menschenrechten bietet das Ökozidrecht einen Weg, die allgemeinen Werte, die dem Rechtsrahmen zugrunde liegen, von der Anthropozentrik auf die Ökozentrik zu verlagern, d.h. von einem Verhältnis der Dominanz zu wechselseitiger Abhängigkeit und der Achtung der Umwelt im Recht. (6.3)

Wo klare und diskriminierungsfreie Regeln den Übergang zu kooperativem Verhalten erleichtern, können Durchsetzungsmechanismen das "Trittbrettfahren" verhindern. Das Ökozid-Gesetz spiegelt diesen Rahmen wider, da das Gesetz die Rolle einer anpassungsfähigen, gemeinschaftsorientierten Umweltpolitik nicht vernachlässigen würde, während es gleichzeitig klare und durchsetzbare Regeln für die wichtigsten Entscheidungsträger vorsieht. (7.1)

Der Stellenwert des Strafrechts bei der Bewältigung der Klima- und Umweltkrisen ist eine Schlüsselfrage. Immer mehr Akteure sehen den Wert eines rechtlichen Parameters, und das Strafrecht ist der Garant für soziale Werte, die von einer Gemeinschaft als grundlegend erachtet werden. (7.3)

Für den Begriff 'Ökozid' spricht [aus etymologischer Sicht], dass er auffällig ist: Es ist das vorgeschlagene Verbrechen des 'Ökozids', das öffentliches und politisches Interesse und Leidenschaft geweckt hat, während dies bei kraftlosen Bezeichnungen nicht der Fall war. Die Ausdrucksfunktion einer Bezeichnung ist eine legitime Überlegung; eine wichtige Funktion des Strafrechts ist die 'Botschaft' 44. (7.3)

Bei zunehmendem Engagement und zunehmender Unterstützung auf staatlicher, akademischer und basisdemokratischer Ebene kann das Ökozidgesetz eine neue Ära der Umweltpolitik einläuten: eine Ära, die einen nützlichen sektorübergreifenden Rahmen bieten kann, um Unternehmen zu prüfen, die zerstörerischsten Projekte zu verhindern und Investitionen und Maßnahmen für nachhaltigere Praktiken zu fördern. Das Ökozid-Gesetz spiegelt auch einen tieferen Respekt für die Natur und unsere Pflichten als ihr Verwalter für künftige Generationen wieder. (8.1)

Das Strafrecht dient seit jeher der Steuerung von Gesellschaften, dem Schutz unserer grundlegendsten Rechte und der Gewährleistung der sozialen Ordnung. Der Internationale Strafgerichtshof wurde in dem Bewusstsein geschaffen, dass einige Straftaten so schwerwiegend sind, dass ihre Kriminalisierung zusätzlichen internationalen Schutz und eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei den schwersten Verbrechen der Welt erfordert. (8.2)

Angesichts des katastrophalen Zusammenbruchs des Klimas und der Ökosysteme und der jüngsten Schätzungen einer nahezu gesicherten Erwärmung um zwei Grad sind ständiges Zögern und langwierige Überlegungen nicht mehr möglich. (8.2)

Was wir brauchen sind anspruchsvolle Rechtsbestimmungen, um Personen zu bestrafen, die unsere lebenswichtigen Systeme zu zerstören drohen: Wenn nicht aus einem ökologischen Verständnis unserer Umwelt und ihrer Arten, dann aus einem anthropozentrischen Blickwinkel auf die Verwirklichung unserer grundlegendsten Menschenrechte. (8.2)

Intuitiv evident ist, dass erhebliche Umweltschädigungen nicht nur das Umweltrecht, sondern auch alle anderen Menschenrechte heutiger und künftiger Generationen bedrohen. (8.3)

Der Schutz unserer planetaren Grenzen schützt unseren Frieden und unsere Sicherheit, und der Weg zum Handeln führt hier über das durchsetzbare Recht, für Mensch und Natur, auf der Erde und im Weltraum. (8.4)

Ulrich Voss